"Von „Dienst nach Vorschrift“ zu echter Verbundenheit: Warum Loyalität kein Mitarbeiter-, sondern ein Führungsproblem ist"
- Batja Theismann
- 6. Sept.
- 3 Min. Lesezeit
Viele Unternehmen wundern sich, warum ihre Mitarbeitenden nur das Nötigste tun, innerlich längst gekündigt haben oder emotionslos ihre Aufgaben abarbeiten. Die erste Reaktion darauf sind oft Benefits: ein Obstkorb hier, ein Teamevent dort, vielleicht eine neue Mitarbeiter-App. Auf den ersten Blick wirkt das charmant – und beim Recruiting sind solche Extras durchaus wichtig. Doch was Herzberg bereits in seiner Zwei-Faktoren-Theorie beschrieb, zeigt sich in der Praxis immer wieder: Benefits verhindern vielleicht Unzufriedenheit, aber sie schaffen keine echte Motivation oder Loyalität. Anders gesagt: Benefits entscheiden, ob Menschen überhaupt ins Unternehmen kommen. Führung entscheidet, ob sie bleiben.
Gerade in Zeiten von Umbrüchen zeigt sich das deutlich. Wenn Strukturen wackeln, Prozesse nicht greifen und die Stimmung kippt, kann kein Benefit die Lücke füllen, die Führung hinterlässt. Menschen verlassen in solchen Momenten nicht nur ein Unternehmen – sie verlassen vor allem Führungskräfte, denen sie nicht vertrauen. Und genau da liegt der Kern: Echte Verbundenheit entsteht nicht durch Goodies, sondern durch die tägliche Haltung im Miteinander.

Was Menschen wirklich bindet – und warum das Führungsarbeit ist
Mitarbeitende wollen gesehen werden – nicht nur in Jahresgesprächen, sondern im Alltag, durch kleine Gesten, ehrliches Feedback und das Ernstnehmen auch unscheinbarer Beiträge. Sie wollen spüren, dass ihre Arbeit Sinn hat, dass sie Teil von etwas Größerem sind. Amy Edmondson hat den Begriff der „psychologischen Sicherheit“ geprägt: das Gefühl, Fehler zugeben oder Ideen einbringen zu können, ohne Angst vor Abwertung. Genau das unterscheidet Teams, die einfach nur funktionieren, von solchen, die zusammenhalten.
Und: Menschen bleiben nicht nur wegen eines Unternehmens, sondern wegen der Menschen, mit denen sie arbeiten. Verbundenheit entsteht im Team, in der Zusammenarbeit – und sie wächst dort, wo Führung Räume schafft. Das können kleine Zusatzaufgaben sein, die Kreativität anregen und Entwicklung ermöglichen. In einem Team wurde zum Beispiel vereinbart, dass Mitarbeitende regelmäßig selbst Schulungen gestalten. Sie wählen die Themen frei nach ihren Interessen, arbeiten sich intensiv ein und präsentieren ihre Ergebnisse anschließend dem ganzen Team. Der Effekt ist klar: Der Chef spart Arbeit, während die Mitarbeitenden spüren, dass ihre Arbeit wichtig ist, gehört wird und echten Mehrwert schafft. Ein klassisches Win-win.
Führung heißt dabei auch, Loyalität vorzuleben. Wer seine Mitarbeitenden bei Fehlern vor anderen bloßstellt, zerstört Vertrauen in Sekunden. Wer sie hingegen nach außen schützt und Kritik nur intern klärt, baut eine Basis, die trägt. Das bedeutet nicht, alles abzunicken – im Gegenteil. Es geht darum, klar zu benennen, wenn etwas nicht gut war, und trotzdem deutlich zu machen: „Ich stehe hinter dir.“ Denn wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es zurück: Wer Loyalität zeigt, erfährt sie auch.
Schließlich ist Führung immer auch Menschlichkeit. Belastungen lassen sich nicht an der Bürotür ablegen. Gute Führung erlaubt, auch Privates anzusprechen, wenn es die Arbeit beeinflusst. Oft geht es gar nicht darum, sofort eine Lösung zu haben, sondern schlicht darum, zuzuhören. Wer das Gefühl hat, nicht allein zu sein, arbeitet mit einem anderen Fundament.
Kleine Hebel, große Wirkung
Viele Führungskräfte fragen sich: Wo soll ich anfangen? Der Wald ist so dicht, dass die Bäume verschwimmen. Doch hier hilft die systemische Perspektive: Wenn sich ein Teil des Systems verändert, verändert sich das Ganze. Es braucht nicht den großen Masterplan. Oft reicht eine kleine Geste, eine andere Haltung in einem Gespräch, eine bewusste Entscheidung, Vertrauen zu schenken statt Kontrolle auszuüben.
Mitarbeitende binden heißt nicht, sie festzuhalten. Es bedeutet, eine Kultur zu schaffen, in der sie gerne bleiben, weil sie Sinn erleben, Vertrauen spüren und Teil eines Teams sind, das zusammenhält. Die „Egal-Haltung“ ist kein Mitarbeitendenproblem – sie ist ein Führungsproblem.
Systemische Reflexionsfrage:An welchem kleinen Hebel könnten Sie morgen ansetzen, um die Kultur in Ihrem Team positiv zu beeinflussen – und was würde sich dadurch im größeren System verändern?



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